Wie genau wir an diesen Stellplatz gekommen sind kann ich gar nicht sagen. Wir suchten einen Platz an der Küste der Normandie und es sollte eben nach Möglichkeit nah am Strand sein. Also wählte ich Vierville sur Mer. Ich konnte mit dem Namen nicht viel anfangen, auch der Campingplatz, den das Navi vorschlug, sagte mir erstmal nichts. Während der Fahrt kam dann aber doch das Gespräch auf, warum gerade dahin? So wurde sehr schnell klar, dass diese Ecke Frankreichs eben jene mit besonderer Geschichte ist. Genau an dieser Stelle landeten die alliierten Truppen um Frankreich von den Nazis zu befreien. Der D-Day am 6. Juni 1944. Ca. 12.000 Menschen sind an diesem Tag an diesem Strandabschnitt und in den umliegenden Dörfern durch die Kampfhandlung gestorben. In erster Line natürlich Soldaten auf beiden Seiten. Die amerikanischen und englischen Soldaten und auch die Deutschen, die die Stellungen versuchten zu verteidigen. Alles das, was hier geschehen sein mag, ist in unseren Köpfen ganz weit weg, wenn man nicht gerade Verwandte hatte, die an dieser Stelle dabei waren. Aber nun waren wir auf unserer Reise irgendwie hierher geraten und auch wenn das sonst ein Urlaubsblog ist und ich euch schildere, wo und wie man schön campen und gut stehen kann und was wir sonst so machen, komm ich nicht drum herum, euch auch zu diesem Tag etwas zu schreiben. Man könnte jetzt das nun auch so sehen: gut, wir waren da, haben eine Nacht dort gestanden. Kann man machen (kann man wirklich, die Campingplatzbetreiber sind super nett und der Platz hat alles, was man brauch), muss man aber nicht und fertig. Wer das so möchte, kann diesen Artikel gerne überspringen und mit dem Nächsten weitermachen, auch das ist ok.
Mich allerdings beschäftigten an diesem Abend und Morgen in Omaha Beach so viele Dinge, die mich auch noch nachträglich immer wieder stutzen lassen. Ich möchte euch einfach teilhaben lassen an den Gedanken, die mir an dem Tag so durch den Kopf gingen und noch bis heute gehen. Einige davon werden vielleicht für Gesprächsstoff sorgen und vielleicht seid ihr auch bei einigem nicht meiner Meinung. Jedoch will ich eben versuchen, alles zusammenzufassen, was ich dort erlebt habe.
Schon auf dem Hinweg wurde spätestens auf den letzten Kilometern klar wo es hingeht. Wenn man sich einfach nur die Häuschen betrachtet, dann sieht man viel kleine Häuschen, aus grauem, grobbehauenem Stein, und einem fällt auf, dass die Häuser hier vielleicht etwas älter wirken als im Übrigen Teil Frankreichs. Dann wird man etwas stutzig. Französische Fahnen hat man nun schon ein paar Mal im Land gesehen und nun wehen sie hier aus den Fenstern der Häuser zusammen mit amerikanischen Fahnen. Alles ist geschmückt als würde hier eine Parade stattfinden. Im nächsten Augenblick kommt uns ein Panzer auf einem Hänger entgegen und dahinter ein bemannter amerikanischer Truppentransporter. Uns überholen plötzlich laut knatternd US Militär auf Motorrädern… Wir sind verdutzt und irgendwie geschockt. Ja, die Menschen laufen hier „verkleidet“ in Uniformen rum. Es fühlt sich etwas wie ein Zeitsprung an, denn umso näher wir unserem Zielpunkt kommen, umso mehr Fahrzeuge, Panzer und Uniformierte begegnen uns. An den Häusern Fahnen und Wimpel. Französische und Amerikanische. Und dann erreichen wir den Campingplatz und können es nicht ganz glauben wo es uns hingeführt hat. Omaha Beach Camping ist bei weitem der absurdeste Platz, an dem wir je waren.
Hier in mitten des Schauplatzes des Angriffs gibt es für alle Interessierten oder eben Verirrten wie uns einen Campingplatz… wir sind zu lange gefahren um umzukehren und wollen eigentlich nur schlafen und dann weiter. Daher nehmen wir den Platz, auf dem man auf den ersten Blick auch nichts von dem, was hier geschah, sieht und parken. Da wir uns noch die Beine vertreten wollen und dieser Ort einfach zu merkwürdig ist um einfach im sicheren Lukas zu bleiben, gehen wir ins campingeigene Bistro und essen eine Kleinigkeit. Der Gastraum ist gefüllt mit unterschiedlichen Leuten, bei denen ich mich zwangsläufig frage, warum sind sie hier…?
In der hinteren Ecke des Raumes sitzen vier junge Erwachsene von etwa Mitte zwanzig Jahren. Sie sind Deutsche, wie man auch direkt hört, da sie sich quer über den Tisch hinweg mit dem Nachbartisch unterhalten. Wir bekommen auch gleich mit, was sie hier her verschlagen hat. Einer der jungen Männer erzählt, dass sein Großvater hier auf dem Soldatenfriedhof liegt und am D-Day hier gefallen ist. Ein anderer junger Mann am Tisch verkündet laut, dass „sie sich freuen und mit den Franzosen und Amerikanern die Befreiung von Hitlerdeutschland feiern wollen“. Ich zucke zusammen. In einem französischen Bistro an diesem Ort ist das glaube ich ein Name, den man am wenigsten laut rumposaunen sollte. Ich schaue zu den französischen Gastleuten, die anscheinend keine Notiz von dem genommen haben und bin irgendwie erleichtert. Es ist ein wenig wie fremdschämen, wie kann dieser junge Mann, dessen Absichten anscheinend gut sind, so pietätlos damit umgehen. Man sollte, finde ich, seine Worte bedachter wählen, wenn man sich als Deutscher in diesem Umfeld bewegt. Auch wenn man sonst hier kein oder kaum Deutsch versteht, gibt es wohl einige Worte und Namen, die an dieser Stelle nicht gut gewählt sind. Und schon gar nicht in der Lautstärke. Alle Beteiligten wissen, an welchem Ort wir uns befinden und worum es hier geht, aber anscheinend begegnet jeder dem anders. Für mich war das auf jedenfalls der erste Anstoß, über den ich nachdachte.
Dem Nachbartisch, dem er das so zu gerufen hatte, entgegnete darauf nicht wirklich viel. An ihm saßen 3 ältere Herren, schätzungsweise um die 70 Jahre alt. Es waren ebenfalls Deutsche. Sie sprachen so über dies und das miteinander und dann wieder mit dem Nebentisch. Dabei erfuhren wir auch warum Sie hier waren. Sie sorgten ehrenamtlich um deutsche Soldatenfriedhöfe. Nun, das ist ein nicht ganz so einfaches Thema, da die deutschen Soldaten hier ja nun eben nicht die Guten waren. Also, dass man eben Friedhöfe für die hier gefallenen Soldaten der Alliierten und der Franzosen hat und diese hier eben auch ehrt leuchtet ein. Aber warum muss es hier einen deutschen Soldatenfriedhof geben. Es fällt mir hier etwas schwer den richtigen Ton zu treffen. Ich finde es ist traurig um jeden Einzelnen, der hiergefallen ist. jeder gehört auch begraben. Ich tue mich nur schwer damit, dass es eben so hervorgehoben wird. Die Deutschen müssten hier an der Stelle mal ganz leise sein. Denn es ist nun mal so, Befehl hin oder her. Geschossen hat der Soldat immer noch selber. Wir diskutierten viel darüber und es war tatsächlich ein Gedanke, der mir die Sache dann doch ganz gut erklärt. Die deutschen jungen Soldaten hatten wohl eher die Wahl, entweder sie gehen hier her und kämpfen oder sie werden eben wegen Verweigerung erschossen. Über kurz oder lang wurde ja so gut wie jeder zum Kriegsdienst gerufen. Also gehen oder sterben. Das zu gehen ähnlich viele Aussichten hatte war vielleicht eben nicht allen klar. Also gehen sie halt und schießen halt zu hoch und hoffen, dass es der gegnerische Soldat auch tut und man dann irgendwie lebend hier wieder rauskommt. Sagen wir so, es ist um jedes Menschenleben, das hier verstarb, traurig und alle haben das Recht begraben zu sein. Für Alle, die hier ihr Leben ließen, weil sie es nicht besser wussten, die hier waren, weil sie hofften, das irgendwie noch lebend überstehen zu können, für all die, ja für diese Soldaten kann ich auch einen deutschen Soldatenfriedhof an dieser Stelle nachvollziehen. Die drei Herren, die sich ehrenamtlich um Soldatenfriedhöfe kümmern, machen das nicht nur hier. Sie reisen und machen diese Arbeit überall. In Russland, in Afrika, an den verschiedenen französischen Schauplätzen. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich davon halten soll.
Wir verließen das Bistro und verbrachten eine unruhige Nacht. Nicht nur das es draußen stürmte und der Wind und der Regen uns ganz schön durchgeschüttelt hat, auch die Gedanken über das Gehörte und Gesehene ließen mich nicht los.
Am nächsten Morgen gingen wir dann doch hinunter zum Strand um nachvollziehen zu können was das für ein Ort ist. Direkt vom Platz führt ein kleiner Weg den Hang hinunter zum Strand. Auf halbem Weg in den Hang gebaut standen wir plötzlich vor einer überwachsenen Gefechtsstellung. Aus Beton in den Hang gebaut, mit Blick auf den Strand. Eine Seite des Baus war weggesprengt und im Inneren sieht man die Einschusslöcher der Salve, die hinein gefeuert wurde. Es ist ein komisches Gefühl, die Löcher in den Wänden zu sehen und zu wissen, dass hier in diesem Bau Menschen an eben jenen Kugeln verstorben sind. Wir gehen hinunter zum Strand und sind beide schweigend in unseren Gedanken versunken als wir den Sand betreten… Ich kann das Gefühl gar nicht genau beschreiben… Wie viele Menschen hier verstarben, was hier alles geschehen ist. Und nun steht man da und fühlt sich sehr überfordert und traurig. Wir sehen den Strand runter und gehen ein paar Schritte. Als uns ein gut genährter amerikanischer Soldat auffällt, der am Strand herumstackst und um ihn herum springt ein jüngerer Mann und fotografiert ihn pausenlos von allen Seiten. Der Soldat wirft sich in Pose, dann stolziert er wieder ein Stück über den Strand, dann wieder Pose… das ist einfach nur bizarr und sehr verstörend… Warum tut er das?? Aus Ehrung der hier gefallenen Soldaten doch wohl kaum. Brüstet er sich an dieser Stelle gewesen zu sein? Warum muss er hier in originalgetreuer Uniform über den Strand stolzieren? Es gibt hier tatsächlich sehr viele in Uniform. Meistens Kostüme. Die ganze Szene wirkt vollkommen surreal… Es knattern immer wieder amerikanische Jeeps mit französischen Fahnen oder dicke Motorräder mit Uniformierten den Hang hinauf. Eine Schulklasse tollt aus dem Reisebus über den Strand und macht an eben dieser Stelle erstmal ein Picknick… ein Trupp junger amerikanischer Soldaten (tatsächlich echte) knien in einer Ecke des Strands und durchsuchen die Steine, bis sich schließlich einer einen Stein mitnimmt und sie weiter gehen. Tourguides erklären Touristen das obenstehende Denkmal und immer wieder Soldaten in verschiedenen Uniformen und dann dieser Ort mit dem Wissen, was genau hier unter meinen Füßen geschehen ist… mir schwirrt der Kopf. Wir gehen zum Denkmal und ich lese die Inschriften. So viele sind hier vollkommen sinnlos gestorben und am deutlichsten macht dies eine Bronzestatue, die hier steht. Sie zeigt zwei Soldaten. Der eine eilt rennenden Schrittes voran, das Gewehr nach vorn gerichtet, mit der Anstrengung im Gesicht und mit der anderen Hand zieht er seinen leblos hängenden Kameraden an dessen Weste mit sich. Vor ihnen eine Inschrift „Ever Forward“
Dieses Soldatenstandbild zeigt genau, worum es hier geht, um eben diese Soldaten, die vollkommen umsonst für einen vollkommen idiotischen Krieg hier ihr Leben lassen mussten, denen gilt es hier zu gedenken. Und nicht dem Krieg, sondern eben dem Frieden, den sie verteidigten und brachten. Es gilt diese Idee der Gemeinschaft und des gemeinsamen Friedens wach zu halten und all das was damals zu dem geführt hat darf nie wieder passieren.
Wir gehen wieder zurück zum Platz. Voll unserer Gefühle und Gedanken passieren wir erneut den Platz im Hang, an dem die Kugeleinschlaglöcher so klar zu sehen sind. Wir bleiben kurz stehen, schweigend und gehen dann weiter und fahren los. An jedem Haus hängen Fähnchen und Wimpel und es hängen Fotos und Bilder von damals an den Hauswänden und uns kommen immer mehr Militärfahrzuge entgegen und Menschen in Verkleidung… und während wir schlussendlich diese Gegend verlassen, kann ich nur hoffen, dass dieser Hype dort bald nachlässt und es bleibt was es ist. Eine Gedenkstätte und ein Mahnmal und das die hier lebende Bevölkerung endlich auch ihren Frieden damit machen kann und nicht jedes Jahr aufs neue Panzer durch ihr Dorf rollen, damit irgendwelche Freizeitmilitaristen hier den Krieg zu Ihrer eigene Freude nachstellen können.